Das fehlende Glied?

Welche Uhr, welches Werk ist das ?
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soaringjoy
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Das fehlende Glied?

Beitrag von soaringjoy »

Hallo Forum,

es kam, wie es kommen musste, frei nach Murphy's Gesetz!

Nicht genug, dass manchem wegen "JDEAL" und
"Zahnrad mit Stielhandgranate" der Schweiß auf der Stirn steht.
Nein, es kommt noch besser!

Erstmal ein kurzer Abriss, bevor alle Welt das Internet lahmlegt auf
der Suche nach dem "Bären".

Es tauchten, ebenso wie beim "Zahnrad", jüngst zwei Werke auf,
1x Federzug, 1x Gewichter (Wiener).
Beide Uhren haben den selben Gongtyp / Werkstuhl und beide Uhren
sind glaubhaft original.
Auch haben beide Werke das bekannte "Kielmann Patent" (D.R.P. 55006)
von 1890, welches von einigen Herstellern gern genommen wurde.

Nun war bis Dato die Bildmarke, "Bär F M" nicht bekannt.

Auch unsere Bibel, das "Lexikon", gab lediglich eine unbekannte Marke

mit demselben Bären - jedoch mit den Buchstaben " P C " an,

die spekulativ vielleicht von Popper & Co. hätte sein können
BearPC.jpg
Recherchen eines Freundes ergaben, dass die P C - Marke sehr
wahrscheinlich der Firma

Paarmann & Cohn, Berlin,

zugeschrieben werden kann - es ist ja auch ein Berliner Bär.
Dieses ist auch verbrieft, kam aber erst nach der Drucklegung
des "Lexikons" zum Tragen (und mein Lexikon hat nun eine Randnotiz).

Jedenfalls ging Paarmann & Co. 1891/1892 pleite.
Aus der Insolvenzmasse wurden ca. 2000 nagelneue Uhren, die
meisten davon Regulateure, zum Spottpreis versteigert - aber nur
an Uhrmacher / Hersteller. Ein Zwischenhändler hat sie aufgekauft
und damit verlief sich die Spur!

So weit, so klar, hoffe ich, denn nun kommt der Brückenschlag.

Wie auf den Bildern zu sehen, taucht nun " F M " aus dem Nebel auf.
BearFM01.jpg
BearFM02.jpg
Der Lyra-Gong ist definitiv MAUTHE mit DRGMS von Okt. 1896
(Kapselförmiger Gongträger).
FMS-Lyra.jpeg


Was dem jetzt noch das i-Tüpfelchen aufsetzt:

Diese beiden Uhren tragen den Namen eines Händlers aus Paris
(Le Roi) und beide Uhren tauchten in Russland auf.

Nun kann sich wohl jeder selbst zusammenreimen, was da damals
abgelaufen sein mag...
"Französische" Uhren wurden in Russland verkauft und dahinter
stand Mauthe, möglicherweise die Einfuhrbeschränkungen umgehend,
die Lenzkirch so zu schaffen machten.

Aber, das ist meine Interpretation... :lol:

J.
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"tempus nostrum"
holger
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von holger »

Hallo,
ist schon faszinierend:
um 1890 beginnt jemand in Berlin ein paar Uhren zu bauen - als der pleite geht kommen die Uhren/Teile nach Schwenningen - die nun daraus entstandenen Uhren gehen über Paris nach Rußland - und dran verdient haben alle.
Gruß Holger
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soaringjoy
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von soaringjoy »

Tja, so könnte es gewesen sein, vielleicht.

Spannend ist es schon, gestehe ich.

Zur Zeit glühen noch einige Drähte, mal schauen, was so kommt.

J.
"tempus nostrum"
steffl62
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von steffl62 »

Und vom wem ist die Bildmarke? Von dem französischen Händler?
Oder hat sich Mauthe hier mit einer Tarnung verewigt? (FM - Französisch Mauthe :P )

lg Christian
.
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soaringjoy
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von soaringjoy »

Die Bildmarke, d.h. der stehende Bär,

ist Paarmann & Cohn zuzuordnen, was u.a. durch eine Anzeige
in der DUZ belegt wurde.
Diese Aussage entstammt zunächst einer höchst
vertrauenswürdigen Person aus dem Bereich horologische
Recherchen.

Eine bisherige Vermutung lautet,
dass die Uhrwerke lediglich den Bären gepunzt hatten, so
dass es keine Schwierigkeit war, die Buchstaben nachträglich
aufzubringen.

Ob jedoch Paarman & Cohn tatsächlich eigene Werke gebaut hat,
oder diese z.B. von Mauthe einkaufte, ist nicht belegt.
Sinnigerweise findet sich jedoch das Kielmann-Patent dort - und
dieses wurde insbesondere, aber nicht nur, von Mauthe häufig
eingesetzt.

J.
"tempus nostrum"
steffl62
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von steffl62 »

Es könnte also demnach sein das Mauthe die Werke ungemarkt gebaut hat, Paarmann & Cohn sie gekauft und mit dem Bären aber ohne P.C. gemarkt haben und die dann kompletten Uhren, nach dem Konkurs von Paarmann & Cohn, von einem Pariser Händler mit den Buchstaben F. M. ergänzt und nach Rußland exportiert worden sind? :?:

lg Christian
.
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Felix18
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von Felix18 »

Das die Uhren letztendlich in Russland auftauchten, wundert mich nicht, Der Absatz dieser Uhren dürfte in einem Uhrenland wie Frankreich schwierig gewesen sein
und die Handelsbeziehungen zu Russland waren schon gut und wurden zu diesem Zeitpunkt immer weiter vertieft.
C.


*Sapere aude*
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soaringjoy
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von soaringjoy »

steffl62 hat geschrieben:Es könnte also demnach sein das Mauthe die Werke ungemarkt gebaut hat, Paarmann & Cohn sie gekauft und mit dem Bären aber ohne P.C. gemarkt haben und die dann kompletten Uhren, nach dem Konkurs von Paarmann & Cohn, von einem Pariser Händler mit den Buchstaben F. M. ergänzt und nach Rußland exportiert worden sind? :?:

lg Christian
Das weiß ich nicht.

Besonders auf dem zweiten Bild sieht es tatsächlich so
aus, das die Buchstaben "F M" nachträglich eingeschlagen wurden.

Wie es heißt, hatte Mauthe sehr rege Geschäftsbeziehungen nach
Russland.

Mann weiß eben noch viel zu wenig darüber und manches bleibt
einfach nur rätselhaft.

Wie heißt es immer so schön?
"Dies ist ein noch laufendes Ermittlungsverfahren."

J.
"tempus nostrum"
steffl62
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von steffl62 »

Spannende Geschichte!
Paarmann & Cohn gingen also 1891/1892 Pleite, also sollte das Geschäft 1892/93 abgewickelt worden sein.
Was für Unterlagen sind denn aus dieser Zeit noch verfügbar bzw. wo könnte man denn da Spuren entdecken?

lg Christian
.
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soaringjoy
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Re: Das fehlende Glied?

Beitrag von soaringjoy »

Für die wirklich ernsthaften Horologie-Rechercheure, wozu ich
längst nicht zähle, sind alte Uhrmacherjournal, Fachzeitschriften,
usw. unentbehrlich.
Sie enthielten auf einer regelmäßigen Basis auch solche amtlichen Bekanntmachungen wie Insolvenzen (Konkurse) und Patent-Nachrichten.
Über Paarmann & Cohn gab es solche Artikel.

Wichtig ist daher ein guter Zugang zu Archivmaterial und
ein gutes Gedächtnis, um zu wissen, wo es steht....
"Da war doch mal was!"

BTW: Es gibt auf der Welt nur seeehr wenige Stellen,
die über ALLE Ausgaben der DUZ verfügen.

Ob die DGC-Bibliothek allerdings dazu gehört, weiß ich aus
dem Stehgreif nicht.

J.
"tempus nostrum"
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